Kunst- und Kunsthandwerk Bazaar – eine Erfahrung weit über das Thema hinaus

Am Wochenende war es mal wieder soweit, das Cafe Arabia  verwandelte eine seiner drei Villastockwerke vom Kaffeehaus in einen Kunst- und Kunsthandwerk Bazaar, der alle ein bis zwei Monate stattfindende “arts and crafts souk”. Der funktioniert ganz einfach. Man mietet sich für einen kleinen Betrag einen Tisch für den Tag, auf dem man seine Kreationen ausstellen und zum Verkauf anbieten kann. Voraussetzung ist natürlich, dass es sich um selbstgestaltete Dinge handelt. Wenn man einen Tisch mieten möchte, muss man dem Cafe-Inhaber glaubhaft vorher mitteilen, was man gerne dort anbieten möchte, damit niemand den Souk als Kram- und Flohmarkt missbrauchen kann.

Ich wollte auskundschaften, was die anderen da so anbieten und ob es in Zukunft auch eine Möglichkeit für mich sein könnte, das ein oder andere zum Verkauf anzubieten. Außerdem war es eine sehr gute Möglichkeit, neue Kontakte und Verbindungen aufzubauen, kreative Atmosphäre aufzusaugen, neue Inspirationen zu bekommen. Im Nachhinein kann ich nur sagen, das Ganze hat sich in vielerlei Hinsicht mehr als gelohnt!

Als wir im Cafe ankamen, habe ich mir erst einmal einen groben Überblick über die Stände verschafft. Von gerahmten Acrylcollagen über verzierte Kerzen, wahnsinnig aufwändig genähte Patchworkdecken, Schmuck, Fotografien, Seidenbilder, Stofftaschen und handbemahltes Porzellan war eigentlich alles dabei. Sogar ein Stand von einer Hilfsorganisation und ein Mischpult für die musikalische Beschallung, im unteren Stockwerk sang bereits ein Chor. Mein Mann und ich machten es uns erst einmal auf der Dachterrasse für Kaffee und Zigarettchen gemütlich, ein bischen Sonne tanken. Nach meinem Kaffee machte ich mich wieder auf in die mittlere Etage ins Getümmel.

Ich stoppte zuerst an dem Stand mit den Decken, Wandbehängen und Kissenbezügen, alle mit aufwändigen Tier- und Mandalapatchworkmustern genäht. Ein Egyptisches Ehepaar betreute den Stand, die Sachen hat alle der Ehemann genäht. Die zwei leben schon seit viele Jahren in Abu Dhabi. Wir hatten eine sehr schöne Unterhaltung über das Land, das Leben und das kreative Arbeiten hier. Beim nächsten Souk sehen wir uns sicher wieder, vielleicht habe ich dann bereits meinen eigenen Stand dort.

Am nächsten Stand saß eine gelangeilt aussehende junge Dame, die bunte Stoffhandtaschen anbot. Ich fragte sie, wie lange sie an den vielen Taschen genäht hat, da alle in einem unterschiedlichen Design waren. Sie sah mich völlig verwirrt an und meinte, natürlich habe sie die Taschen nicht selbst genäht. Sie habe das Design entworfen und die Taschen nähen lassen. Nunja, das entspricht jetzt nicht so ganz der Idee dieses Souks, aber immerhin war das Design von ihr. Wahrscheinlich hat sie ihr Hausmädchen damit beschäftigt. Da sie eine Emirati war, gab ich ihr eine CD von dem National Day Projekt in die Hand, das Ziyad Matar und ich gemacht haben, und verabschiedete mich höflich zum nächsten Stand.

Dort saß ein hier geborenes Indisches Schwesternpaar, das ein Fotostudio betreibt. Wundervolle Landschafts- und Städtefotos, Kalender, Drucke von eigenen Zeichnungen und bedruckte Tassen gab es dort. An einem anderen Stand verkaufte ein zwölfjähriges Mädchen seine wirklich sehr schön verziehrten Kerzen, die Standmiete hat sie von ihrer Mutter zum Geburtstag geschenkt bekommen. Und die Kerzen konnten sich wirklich sehen lassen, die Kleine ist sehr begabt.

Ich lernte Tamara Noori kennen, eine wundervolle Frau aus Indien, die seit 17 Jahren hier lebt und Kreativkurse aller Art gibt, sei es Papierschöpfen, Seidenmalerei, Glasmalerei, oder sonstige Arten der Malerei. Sie stellte eine Menge eigener Seidenbilder aus, wunderbare Stücke, sehr dekorativ. Wir unterhielten uns eine ganze Weile, tauschten Gedanken und Beobachtungen aus, selbstverständlich auch unsere Visitenkarten. Vielleicht bleibt man ja in Kontakt.

In der Mitte des Raumes befand sich ein Tisch, der von vielen hauptsächlich jüngeren Menschen umgeben war, ein großer Teil von ihnen Emirati. Einer hatte ein Peacezeichen in den Bart seiner rechten Wange rasiert, zusammen mit der traditionellen weißen Kandura (das übliche lange Gewand hier) ein interessantes Bild. Ich war am Stand dieser Hilfsorganisation angekommen. “Breathing Numbers” – “Atmende Zahlen” ist der Name der Organisation, vor allem aber der Idee dahinter. Ich lernte unter anderem die Gründerin kennen, Muna Harib, eine wahnsinnig tolle junge Frau mit einer Idee und dem festen Willen, etwas zu verändern. Was sie auch tut. Der volle Name der Oganisation ist “Breathing Numbers Human Act”. Momentan helfen sie Syrischen Flüchtlingen, die überall rund um Syrien herum in den vielen Camps leben. Die Camps selber werden ja von den großen Organisationen gebaut, abgesichert und mit Nahrungsrationen versorgt. Sozusagen das unterste Minimum, um ein Überleben zu garantieren. Ein Leben wie in einer Viehherde.

Breathing Numbers haben einen ganz anderen Ansatz. Es geht mehr um die Idee des menschlichen Handelns, sich wieder auf das Mensch sein und die gegenseitige Hilfe und Unterstützung zu besinnen. Diese Menschen in den Camps wurden von einem Krieg vertrieben, der mittlerweile zwischen fanatischen Islamistengruppen aus dem Ausland und der alten Regierung geführt wird. Dieses ganze Volk ist geflohen, um zu überleben. Irgendwann werden sie ihr Land wieder aufbauen können, müssen. Die Leute von Breathing Numbers wollen anderen überall auf der Welt klar machen, dass es nicht nur um Nummern in einer Statistik geht. Es geht um atmende Menschen. Um unser aller Verantwortung. Sie sammeln und verbreiten die Geschichten unterschiedlichster Einzelschicksale, sammeln Spenden, veranstalten Wohltätigkeitsfeste, verkaufen und versteigern Kunst und andere Dinge, von deren Erlös sie dort vor Ort etwas tun. Wohncontainer zum Beispiel, da der Campboden meist so schlammig ist, dass die Zelte dort voll laufen oder gar nicht erst aufgebaut werden können. Warme Decken, Kleidung, medizinische Versorgung, Organisation nötiger Operationen für Kranke. Darüber Hinaus tun sie aber noch etwas anderes ganz wichtiges. Sie wollen die Einzelschiksale verbreiten, damit diese Menschen nicht weiterhin das Gefühl haben, vom Rest der Welt vergessen zu werden. Sie wollen ihnen Möglichkeiten bieten, irgendeine Art Raum zu bekommen, wo sie mal abschalten können von den Kriegssorgen und ein Stück Normalität oder auch nur etwas Schönheit erleben zu können. Das passiert dadurch, dass sie sich um Lernmittel für die Kinder kümmern, damit die Älteren ihre Fähigkeiten und Ausbildung so gut wie möglich an die Jüngeren weiter geben können. Spielzeug für Kinder, damit sie wenigstens ein bischen Kind sein können. Sogar eine Art Kreativzentrum wurde in einem der Camps errichtet, wo syrische Künstler die Möglichkeit haben, ihre Werke auszustellen. Wo jeder, dem es liegt, die Arbeitsräume und Möglichkeiten hat, seine eigenen Erfahrungen und Gefühle in Bildern darzustellen. Breathing Numbers stellt auch Kontakte zwischen allen möglichen Menschen von außerhalb zu den Syrischen Flüchtlingen her, einfach nur zum Reden, sich austauschen, und vor allem um den Syrern das Gefühl zu geben, sie sind nicht ganz vergessen, nicht ganz allein. Breathing Number will diesen Menschen beistehen, dass sie durch diese schwere Zeit kommen, ohne dass ihre eigene Hoffnung, ihr Selbswertgefühl, ihre Menschlickeit zu sehr leidet oder ganz abhanden kommt. Sowas kann schnell passieren aufgrund des Elends und der Verbitterung. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe, damit dieses Volk nicht das wichtigste verliert, was es hat! Hoffnung, Fähigkeiten, Menschlichkeit. Irgendwann wollen sie ihr Land wieder aufbauen, spätestens dann werden sie all das brauchen. Und Breathing Numbers möchte so viele Menschen wie möglich dazu bringen HINZUSEHEN. Zu begreifen, was überall auf der Welt mit anderen passiert, nicht gleichgültig zu bleiben und das Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit abzustreifen. Jeder kann etwas tun, auch wenn es nur ein ganz kleiner Beitrag ist. Machen das genug Menschen, wird etwas bewegt…

Ich habe mich über eine Stunde mit dem Team von Breathing Numbers unterhalten. Sie haben ungewöhnliche und idealistische Ansätze, denken in ähnlichen Bahnen wie ich. Es war bereichernd, lehrreich und motivierend zugleich. Wenn ich über das Team als Organisation schreibe, so stimmt das nur im weitesten Sinne. Es ist vielmehr eine Idee, eine Einstellung, ein paar Leute mit dem festen Entschluss, etwas zu bewirken. Sie sind vernetzt mit allen möglichen Organisationen, vor allem aber mit Menschen. Es gibt nicht so etwas wie einen offiziellen Beitritt oder eine Mitgliedschaft. Es ist mehr ein Bereitstellen und Nutzen von bereits bestehenden Infrastrukturen für Hilfsprojekte für jeden, der gerne etwas dazu tun möchte. Eine “Breathing Number” zu sein ist eine Frage der inneren Einstellung und der eigenen Handlungen, keine Frage einer Mitgliedschaft. Muna Harib und ihre Freunde wollen die Menschen daran erinnern, was es bedeutet menschlich zu sein, für einander da zu sein, für einander zu sorgen. Und was das aktive Handeln betrifft, fangen sie ganz einfach mit den Syrischen Flüchtlingen an.

Wir bleiben in Kontakt. In den nächsten Tagen werde ich zum Thema Syrienkonflikt und warum gerade uns westliche Leute das alles sehr viel angeht einen ausführlich Blog schreiben. Ich bitte Euch alle, diesen entsprechenden Eintrag dann aufmerksam zu lesen und wenigstens darüber nachzudenken. Es geht nicht nur um Syrien und die Syrer. Es geht um uns alle. Wie wir wegsehen, was wir gerne vergessen, dass wir doch nicht völlig machtlos sind.

So hatte dieser kleine Künstlermarkt doch noch eine sehr überraschende Komponente auf Lager. Ich weiss jetzt, wie man dort einen Stand bekommt, kenne bereits einen Teil der Leute, die regelmäßig teilnehmen, habe durchaus Ideen, was ich wie dort anbieten kann. Ich habe wieder einige unserer CDs an die Einheimischen austeilen können, was sehr gut ankam. Und ich habe Muna Harib und ihre Freunde kennen gelernt, die eine Einstellung vertreten, wie sie bei uns im Westen mehr und mehr ausstirbt. Ich meine damit nicht die Denkweise, die gibt es auch bei uns noch. Ich meine das Handeln selber. Den Anfang machen. Wenn genug Leute mitmachen, kann man wirklich etwas bewegen. Und sie haben Recht damit, das haben sie im Falle vieler Hilfseinsätze in den Flüchtlingscamps bereits bewiesen.

Bis zum nächsten Blog!

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